Mato Kosyks Werk
„Ich bin ein Spreewaldjunge!”
Ehrung für Mato Kosyk am 18. Juni 2013 anlässlich seines 160. Geburtstages.
Wo und wann auch immer die Literatur der Niederlausitzer Wenden Erwähnung findet, wird stets auch der Name Mato Kosyk, zu Deutsch Matthäus Kossick, genannt. Er gilt als der bedeutendste Dichter der wendischen Niederlausitz im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Der Pfarrer, Literat, Dichter und spätere Farmer wurde am 18. Juni 1853 in Werben geboren.
Klaus-Peter Jannasch und Prof. Roland Walter Marti lassen in ihrer Biographie den Dichter selbst zu Wort kommen:
Mato Kosyks Werk aus der Werbener Werkstatt 1877 bis 1883
Er lebte zwar 57 Jahre in den USA, war aber der Staatsangehörigkeit nach 41 Jahre wendischer Deutscher (1853-1894) und 46 Jahre wendischer Amerikaner (1894-1940). Ein Dokument erzählt:
„Ich, Matthäus Kossick erkläre eidesstattlich, dass es meine feste Absicht ist, Staatsbürger der USA zu werden und für immer und ewig jeglicher Untertanentreue und Treue gegenüber jeglichem Prinzen, Potentaten oder jeglicher Herrschaft abzuschwören, insbesondere dem Kaiser des Deutschen Reiches, dessen Untertan ich war. Rev. Matthäus Kossick“
Geschworen vor mir, in meinem Büro in der Stadt Fremont, Dodge County im Staate Nebraska, am heutigen 27. Februar des Jahres 1889. Geo W. Davy, Sekretär des Bezirksgerichts in und für Dodge. County, Nebraska.
Matthäus Kossick war schon 1883 nach Amerika gekommen, war aber nach dem Theologiestudium und einer ersten Pfarrstelle in Wellsburg, Iowa, in die Heimat zurückgekehrt, wo sein Bruder verstorben war. Gleichzeitig sondierte er die Möglichkeiten, hier eine Anstellung als wendischer Pfarrer zu erlangen. Erfolglos verließ er 1887 erneut Deutschland. Erst zwei Jahre danach fiel seine Entscheidung, obigen Antrag auf amerikanische Staatsbürgerschaft zu stellen.
Als er nach fünfjähriger Warte- und Prüfungszeit am 26. September 1894 die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangte, lesen wir auf dem NATURALIZATION RECORD (Einbürgerungsurkunde), „...dass er sich in dieser Zeit als charakterfester, anständiger Mann verhalten hat, loyal gegenüber den Prinzipien der Verfassung der Vereinigten Staaten ist und bereit, die gute Ordnung und das Glück des Landes zu erhalten“.
Glück und Ordnung betrafen inzwischen die wechselhaften Biographien zweier Erwachsener und eines dreijährigen Jungen. Im November 1890 hatte er Anna Wehr, Gutsbesitzertochter aus der Nähe von Posen und junge Immigrantin, geheiratet, die ihm im darauf folgenden September einen Sohn gebar, den sie Georg Louis tauften. Dem deutschen Kaiser abzuschwören, tat Kossick nicht weh. Es tangierte weder seine Zugehörigkeit zum Wendentum noch seine Liebe zur Heimat und schon gar nicht seine innige Frömmigkeit. Aber diese Entscheidung für ein Leben in den USA „für immer und ewig" schuf Grundlagen für die Existenz der Familie und die Zukunft des Sohnes.
Die Gedichte
Doch was hatte er 1883 alles zurückgelassen? Was zwischen 1877 und dieser ersten Ausreise geschaffen in seiner Dichterwerkstatt im elterlichen Haus am Müschener Weg, auf dem er mit Gästen, etwa dem Papitzer Lehrer Heinrich Jordan und dem Polyglotten Dr. Georg Sauerwein philosophierend spazieren ging? Der Lyriker beschreibt das märchenhafte Fluidum seiner Kindheit, den unvergesslichen Dreiklang der Werbener Glocken, die Welt der Mythen und Sagen, den frühen Tod der geliebten Schwester, der ein Engel aus Stein ans Grab gesetzt wurde.
Das Land Kinderglück
Źiśecy raj, 1878
Kindheitsland Glück,
deine Sehnsüchte such ich,
deine Träume verlor ich.
Gib mir zurück,
was ich einst an dir hatte,
als ich spielend begann,
mir die Welt zu erobern
und das Leben zu fühlen.
Wo ich draußen am Fließe
voller Übermut tollte,
wo ich schlief ohne Sorgen
in des Mütterleins Schoß.
Leben im Mai!
Mag mein Lied dich nun loben
in Erinnerung verwoben,
Kindheitsland Glück!
Immerhin schon 28-jährig blickt er auf seine jugendlichen Jahre zurück und beschreibt Lebensfreude und Schaffenskraft des hiesigen jungen Menschen, seine unbekümmerte Frische, sein Selbstwertgefühl und seinen Unternehmungsgeist.
Ein Spreewaldjunge
Golc z Błota, 1881
Im Paradiese aller Welten,
ein schönres Ländchen gibt es kaum.
Hier lebe ich seit Kindesbeinen,
kenn jedes Haus und jeden Baum:
Ich bin ein Spreewaldjunge!
Wenn ich den Menschen Nachricht bringe
mit flinkem Fuß auf engem Pfad
und kühn die Gräben überspringe,
dann hör ich manchen Mannes Rat:
Gut Weg, du Spreewald-Bote!
Wo sich der Spreearm tückisch windet,
da Mu. ich sicher meinen Kahn,
der Strom den Meister in mir findet,
so zieh ich täglich meine Bahn.
Ich bin des Spreewalds Fährmann.
Und hörst du meines Hornes Rufen
mit langem, seltsam dunklem Ton,
weißt du, es ist mein mahnend Suchen,
die Zeit zum Abtrieb nahet schon.
Ich bin ein Spreewaldhirte.
Mein Lied ist abgelauscht den Vöglein,
klingt fröhlich durch den grünen Wald;
ich singe manches schöne Liedlein,
so dass der Hochwald widerhallt.
Ich bin des Spreewalds Sänger!
Mich grüßt mit milden, guten Worten
selbst in der Fremde jeder Mann;
ich setz den Fuß auch aller Orten,
wo Glück und Heim ich finden kann.
Ich bin ein Spreewaldjunge.
Und wie kann es anders sein: Hier hat der junge Mann Matthäus Kossick seine ersten inniglichen Begegnungen mit den viel gerühmten schönen Töchtern seiner Heimat. Wohl auch rückblickend entsteht ein Gedicht, das nicht nur die naive Freude über das Glück zeigt, wohl auch Verantwortung anklingen lässt, aber auch Melancholie und die für seine Liebeslyrik resignative Grundstimmung.
Sag „Ja“
Jo, 1880
O sag, wirst meiner du gedenken,
wöllt ich einst in die Ferne gehn?
Sag ja, sag ja, sag ja, sag ja,
dann wird mein Glück erblühn.
Sag, willst du mir die Treue wahren
und all den andern widerstehn?
Sag ja, sag ja, sag ja, sag ja,
das wird mir Trost und Anmut sein.
Und willst du mir dein Mäulchen reichen,
soll Kuss mit Kuss vergolten sein?
Sag ja, sag ja, sag ja, sag ja,
dann wird die Liebe niemals weichen.
Die Liebste sagte „ja" zu mir
und rührte mich im tiefsten Herzen.
Das Wörtchen „ja" gibt Freud und Last,
es trägt mein Glück und meine Schmerzen.
Es ist unverkennbar, dass der junge Kossick die Zeit am Gymnasium und bei der Leipzig- Dresdener Eisenbahn zum ausgiebigen Studium der klassischen und der deutschen Literatur genutzt hat. Den Kenner erinnert manches Gedicht an große deutsche Dichter.
Die Pein
Pina, 1878
Mich lockt es hierhin, lockt es dort,
weiß nicht, wo ich einst Frieden finde,
mich greift das Sehnen und Verlangen,
umfängt mich seltsam auch mit Bangen,
mein Weg drängt zur Unendlichkeit,
wo alles liegt in Dunkelheit.
Es lockt zu setzen meinen Fuß
mit Fleiß in unbekanntes Land,
wohin noch keines Menschen Schritte
geführt aus unsrer Welten Mitte,
zu wissen wie die Blumen blühn,
wie dort die linden Lüfte wehn.
Ich fühle die Erhabenheit,
erahne die Unendlichkeit,
ach, könnt ich weite Schwingen schlagen,
den Flug durch Kontinente wagen
zu jenen fernen Welten hin,
ich würd es wagen mit Gewinn.
Hoch oben über Meer und Land
wie Wolken weit nach Unbekannt,
dort könnt ich aller Meere Rauschen,
Äonenklang erschaudernd lauschen,
ich wüsste, was Gestirn und Welt
im Innersten zusammenhält.
Der Drang zur Erforschung der großen weiten Welt, die Versuchung, das Glück im fernen Land zu erobern, sind bereits angedeutet. Ungewissheit, Mühen und Entbehrungen schrecken nicht. Es sei zu erinnern, dass ja bereits der Weg zur Anstellung bei der Leipzig-Dresdener Eisenbahn (1873) ein Schritt über die Grenze des heimatlichen preußischen Landes, nämlich ins damals ausländische Sachsen war.
Ungewissheit
Njewěstosć, 1879
Ich geh; was frag ich noch nach sichren Wegen?
Was sollt ich länger eitlem Rate folgen?
Den rechten Weg, den will ich gehend finden –
so schreit ich voller Hoffnung kühn voran.
Doch hält Verblendung mich in ihrem Banne
und lauert auch, mein Auge mir zu blenden,
dann möcht ich weinen ob vertaner Mühe,
an fremdem Ort im Kreise irrend suchen.
Schau! Golden leuchtet mir der Stern des Glückes.
Weiß ich, ob nur in diesem Augenblicke? –
Ich will es fassen, trete an zum Kampfe.
Verlässt mich der, ein andrer wird mich stärken,
am Wege winkt mir ringsumher das Leben –
noch weiß ich nicht, ob ich einst siegen werde.
Als der „junge“ Poet - Kosyk war 1877 nach Werben zurückgekehrt - drei Jahre später von Pfarrer Kruschwitz zur Mitarbeit an der Generalrevision des wendischen evangelischen Gesangbuches (erschienen 1882) gebeten wird, ist er zwar schon 27 Jahre alt, aber mit Abstand der jüngste Mitarbeiter in diesem erlauchten Kreis der Pfarrer und Kantoren. Doch weder er selbst noch der Förderer Kruschwitz wissen zu diesem Zeitpunkt, dass am Ende fast die Hälfte aller Choräle im neuen Gesangbuch aus Kosyks Feder stammen wird.
Kosyk bringt nicht nur reines, klassisches Wendisch ein, sondern ersetzt die bisherigen holprigen und ungereimten Texte durch echte Dichtung. - Umsonst. Kruschwitz und er ernten herbe Kritik. Die anderthalb Jahrhunderte eingeübte Tradition der alten Texte ist übermächtig. Die kann man von Kindesbeinen an auswendig und im Schlafe. Was kümmert uns die Poesie!
Kruschwitz wehrt sich energisch in einem geharnischten Aufsatz in der wendischen Wochenzeitung. Der Poet Kosyk kleidet seine Enttäuschung in ein Gedicht.
Böse Welt
Zły swět, 1882/83
Lass sie Gerüchte, Ränke schmieden,
dass mir die Ehre sei geraubt,
lass sie mit Lügen stets obsiegen
und Hohn mir schütten auf das Haupt,
Gott sieht, ich bin in Unschuld.
Die Welt ist böse, war's doch immer
auch schon von ihrem Ursprung an,
auch damals Plage, Not, Gewimmer;
welch Leid und Gram hat mancher Mann,
und größere als meine.
Ja, über deine Tränen lachen
kann wahrlich nur ein böser Mann,
dich quälen, ständig drüber wachen,
wo er ins Herz dir stechen kann.
Oh, mag er's nur so treiben.
Auch gibt's noch ehrenhafte Leute,
die glauben diesen Schändern nicht,
gleich Ränkespiel und Arg der Meute
aus Tausenden von Mündern bricht,
dich übelst zu verleumden.
Ja, böse ist die Welt und bleibt es,
drum gram dich, Herz, nicht gar so sehr,
denn Gott allein ist voll des Trostes
und er verlässt dich nimmermehr,
sieht er dich nur in Unschuld.
Epik und Prosa
Zu Kosyks dichterischem Schaffen in der Werbener Zeit gehört aber noch viel mehr. Da sind auch Balladen im besten Sinne dieses Genres. Hier in Werben entsteht praktisch das Gesamtbild einer Literatur: der wendischen (niedersorbischen) Literatur. Denn obwohl der Literat Mato Kosyk nicht einmal sechs Jahre in Werben aktiv war, hat er in dieser Zeit ein umfangreiches Werk in einer beeindruckenden Vielfalt dichterischer Formen geschaffen. Erwähnt seien hier wenigstens die wichtigsten Texte:
1. Sein erstes großes episches Werk „Serbska swaźba w Błotach" - Die wendische Hochzeit im Spreewald, 1880 auf eigene Kosten gedruckt, beschreibt das dörfliche Leben am Beispiel einer Hochzeit. Bewusst wählt er dafür die klassische Versform des Hexameters, die schon in der griechischen und römischen Literatur geschätzt wurde. Dadurch zeigt er, dass die kleine wendische Literatur nicht hinter der Antike zurückstehen muss.
Das dreiteilige Werk zählt fast 2000 Zeilen, beschreibt die Vorbereitungen auf beiden elterlichen Höfen und stellt im 3. Teil die Hochzeit dar. Es zeigt einen klaren dramaturgischen Aufbau und stellt das Denken und Fühlen der Beteiligten in bestem Wendisch vor. Die ersten Worte dieser Idylle gehören - bevor erzählt wird, wie das Heiratsgut der Braut herangefahren wird -dem Vater des Bräutigams: Freude - Seelenfriede - Glück:
Freude beflügelt auch mich, vor Freude jung bin ich wieder,
ob auch meines Kopfes Haar beginnt zu ergrauen.
Kräftiger pochen die Adern, mich wärmt das Feuer des Jünglings;
neue Straffheit und Kraft durchströmen die Jahre des Alters,
warm verspürt mein Herz die Schönheit und Pracht unsrer Erde,
himmelwärts fliegt der Geist, getrieben von froher Erregung.
Seelenfriede, du bist der Schatz aller irdischen Schätze,
du erfüllst meinen Wunsch, bist nunmehr die Krone des Wünschens;
sieh, die größte Sorge ist fort, ist von mir gewichen,
bald schon wird es bezeugt durch das Wort des himmlischen Bundes.
Glück ist es, nichts als Glück, wer könnte mehr noch bescheren?
Anders erscheint mir die Welt, ich selbst bin mir anders geworden,
singen könnte ich gleich die lustigsten Stückchen der Jugend,
wie die Vögel ihr Lied am Himmel zu trillern vermögen.
Tränen könnt ich vergießen, die freudig im Herzen mir glühn,
also bin ich erfüllt vom Gefühl des inneren Glücks. –
Lange währte es nicht, bis es rings lebendiger wurde;
plötzlich bellte ein Hund, der Pudel, die übrigen folgten.
Alle Wagen des reichen Schulzen nun kamen gefahren,
voll beladen mit sämtlichem Hausrat der freundlichen Lejna, ...
2. Der Geschichte seines Volkes widmet Kosyk die Trilogie „Serbskich woścow śerpjenja a chwalba - Der wendischen Ahnen Leiden und Lobpreisung“.
Dieses mit Prolog und Epilog fünfteilige Werk ist ebenfalls in anspruchsvolle poetische Form gegossen. Komplett veröffentlicht wurde es erstmals 2001 in Band 2 der historisch-kritischen Gesamtausgabe „Spise Mata Kosyka“.
Zeitlich umspannt das stark mythologisierte Werk 400 Jahre geschichtlicher Ereignisse, vom Verrat des Markgrafen Gero über Brennabors Fall bis zum dramatischen Geschehen um den Köpenicker wendischen Fürsten Jacko am Schildhorn.
Der Fall Brennabors (Brandenburgs), die endgültige Unterwerfung des alten Wendentums und dessen Christianisierung werden eingeleitet durch eine frevelhafte Tat: die Entweihung einer heidnischen geweihten Jungfrau, die, auf einer Insel lebend, von einem besitzgeilen Ritter vergewaltigt wird. Hier begegnen sich Mythos und Realität. Die jungfräuliche „Göttin" und Herrscherin hat ein Gelübte abgelegt, ihr ist dadurch ewige Jugend gegeben.
Ein uralter Sänger mit wehendem Gewand berichtet, was geschah: Eines nachts setzte der abgewiesene Freier zur Insel über, schlug die Tür ein, überwältigte die Geweihte und raubte ihr Ehre und Krone.
Hier liegst du, göttliche Braut, nun gemein,
ich weine an deinem geschändeten Schoße.
Den Rautenkranz stahl dir zu tödlicher Pein
die wilde Hand, ach, brechend die Rose.
Die gleißende Helle vergeht nun in Nacht,
besudelt das Kleid und zu Schande gemacht.
(Branibora pad, 1879)
Wie die Göttin wird Brennabor ins Verderben geschickt. In realistischen Bildern wird das Morden und Brennen geschildert - und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
3. Selbst Texte fürs Theater zählen zu Kosyks Gesamtwerk. Das Stück „Božemje serbskich wojakow - Abschied der wendischen Soldaten“ zeigt, wie diese 1870 in den Deutsch- Französischen Krieg ziehen. Die Handlung ist verbunden mit der Weissagung einer alten Zigeunerin. Die Uraufführung des Stückes erfolgte durch Werbener Akteure in Krügers Schenke im Jahre 1882 zu Ehren Kaisers Geburtstag. Diese Darbietung ist die erste wendische Theateraufführung in der Niederlausitz und die erste Aufführung eines original sorbischen Theaterstückes überhaupt.
4. Erwähnenswert ist Kosyk auch als Verfasser von Prosatexten. Die wendischen Leser der „Bramborske Nowiny“ lernten ihn neben Gotthold Schwehle und Heinrich Jordan als Redakteur des Blattes kennen.
Am deutlichsten äußert sich Kosyks Talent aber in den vielen kürzeren oder längeren Gedichten, von denen er die meisten in Werben geschrieben hat und von denen einige oben zitiert sind. Sie zeigen einen Dichter, der in seiner Heimat, seiner Sprache und seinem Glauben verhaftet ist und der sich auf dieser Grundlage in seinen Gedichten mit sich und der Welt auseinander setzt. In vielem betritt er dabei dichterisches Neuland. Umso bewundernswerter ist, welcher Grad an dichterischer Reife aus vielen seiner Texte spricht.
Sein Abschied nach Amerika kommt für die Öffentlichkeit plötzlich, aber es dauert nur kurze Zeit, dann flattern hier in der Heimat seine Briefe mit neuen Gedichten auf den Tisch. Und sie zeigen, dass er die Literatur in wendischer Sprache um neue, bisher unbekannte Themen bereichert und von seinem dichterischen Können nichts eingebüßt hat.
„... bleib fremd auf dieser Erde”
Der wendische Amerikaner „Matthew Kossick"
Das poetische Prinzip, die klare Sprache des intakten wendischen Lebens einer ethnischen Gemeinschaft zur Literatur zu erheben, bleibt auch für die amerikanischen Dichtungen Kosyks bestimmendes ästhetisches Mittel. Wir begegnen der elementaren Kraft dieses in Verse gegossenen Idioms bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, variiert in den landestypischen Themen, und in den letzten Jahren konzentriert auf Religiöses.
Im Land unbegrenzter Möglichkeiten
Spätherbst 1883; Ankunft in New York; Immigranten, unzählig aus aller Herren Länder. Bis zum Zielort Springfield im Bundesstaat Illinois sind es für Kosyk noch Hunderte von Kilometern; von nichts hat Amerika mehr als von der Weite des Landes. Aber da ist die Hürde Einwanderungsbehörde, Ellis Island, das Tor zur freien Welt. Doch diese zeigt dem zukünftigen Studenten erst einmal ihr raues Gesicht. Des Dichters erste Impressionen:
Auf fremder Erde
W cuzej zemi, 1883
Als ich stand auf festen Erden
endlich hier mit Hab und Gut,
um durch's weite Land zu werden,
bannend der Gedanken Flut,
spürte ich ganz unbewusst
auf diese Heimat keine Lust:
ich war auf fremder Erde.
Ein Yankee, trunken, hebt zum Schlage
die Faust, weil ich, ein braver Mann
an meiner Lade sehr schwer trage
und meinen Weg nicht ändern kann.
Da spürte ich ganz unbewusst
auf diese Heimat keine Lust:
ich ging auf fremder Erde.
Man wies mir einen Schlafplatz aus,
dort fiel ein armer schwarzer Mann
im überfüllten Herbergshaus
mich Geld zu finden tätlich an.
Da spürte ich im Herzen fein:
dies Land wird mir nicht Heimat sein,
bleib fremd auf dieser Erde.
Springfield, Illinois, ein Tag vor Heiligabend des Jahres 1883. Der Student Matthew Kossick an seinen Intimus, Kantor Heinrich Jordan in Papitz:
„Ich schäme mich nicht auszusprechen, dass mein Herz in Sehnsucht nach meinen Lieben daheim voller Schmerzen ist. Gibt es jemanden, der sein wendisches Volk, sein Haus und die Heimaterde mehr geliebt als ich? - Aber das Lernen ist nicht so leicht wie ich anfangs dachte, oft muss ich tags und nachts lernen, um alles zu bewältigen. - Unter der hochgelobten amerikanischen Freiheit oder viel mehr unter ihrer Kehrseite beim Stadtgang und im Leben hatte ich schon viel zu leiden. Ja, in der Stadt Buffalo habe ich auf offener Straße meinen Übermantel eingebüßt. Hier nach Amerika passt kein zartes Wesen, gut aber ein hartes Herz, deutsch würde ich sagen, ein ‚frecher Mann’.“
Chicago Lawn. Aus einem Brief an die Eltern nach Werben vom 18. März 1884 erfahren wir eine überraschende Wendung:
„Wie Ihr aus dem Absender erseht, wohne ich jetzt in Chicago. - Springfield habe ich verlassen, weil mir die Lehre der Missouri-Synode nicht so recht gefallen hat. Das Seminar wo ich jetzt bin, gehört zur Generalsynode. Diese ist ähnlich der heimatlichen Kirche. - Studieren muss ich hier noch viel mehr, weil hier Griechisch und Hebräisch und verschiedene andere Fächer hinzukommen, aber mit Gottes Hilfe geht das ganz gut.“
Chicago Lawn, Cook County. Brief vom 7. April 1884 an Professor Ernst Mucke, Herausgeber und Kosyk-Förderer:
„In Chicago, der „Königin des Westens", wie sich diese Großstadt nennt, habe ich noch keinen wendischen Menschen getroffen. Eine Straße aber ist ganz von Polen bewohnt, und die haben hier sogar ihre eigene Zeitung, die ‚Gazeta Polska’. - Gottlob, bisher bin ich gesund, aber mein Herz war oft wie zerbrochen. Und noch immer schaue ich nach Osten in die unaussprechliche Ferne, als könnte ich mit den Augen die Heimat erreichen.“
Vieles, was der Dichter Kosyk an seine Gewährsleute in die Lausitz schickt, um seinen Landsleuten von dem fernen Land hinter dem Großen Ozean zu berichten, wird zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht. Auch das folgende Gedicht ist erstmals 1983 gedruckt worden.
Im polnischen Chicago
W polskem Chicagu, 1884
Traulich grüßt mich in Chicago
Slavisches in Bild und Wort.
Und schon glaub ich, dass die Heimat
Hilfe reicht an fremdem Ort,
Glück zu finden ohne Leid,
Leben in Zufriedenheit.
Zaghaft lenk ich meine Schritte
hin zu Kindern, Mann und Weib.
Freundlichkeit aus ihrer Mitte
lockt mich Wandrer zum Verbleib.
Polen sind's mit Weib und Kind,
die dort jetzt zu Hause sind.
Arme, emigrierte Leute
fanden Glück in fremdem Land.
Stolz erhebt der Pole heute
hier sein Banner, seine Hand,
fleißig legt er Cent auf Cent
und gewinnt den Kontinent.
Zu kurzes neues Familienglück
Kosyks Idealvorstellung, ein wendisches Mädchen zur Frau nach Amerika zu bekommen, erfüllt sich nicht. Über eine Agentur findet er eine Deutsche, Tochter eines Rittergutsbesitzers aus dem Polnischen.
Princeton, Lancaster County, Nebraska. Brief an die Eltern nach Werben vom 4. Dezember 1890:
„Liebe Eltern! Dieses Mal sende ich Euch nur einen kurzen Brief weil ich im Hause reichlich viel zu besorgen habe. Die Anna ist hier gesund gelandet und hat an die 14 Tage beim Nachbarn gewohnt. Am 21. November war unsere Trauung ohne großes Tamtam. Wie wir miteinander leben werden, kann ich nicht voraussagen. Sicher ist, dass meine Frau das „hochherrschaftliche Leben ", wie sie es von Hause aus gewohnt ist, wird ablegen müssen.“
Princeton, Lancaster County, Nebraska. Brief an die Eltern nach Werben vom 15. September
1891:
„Liebe Eltern! Diesmal kann ich Euch die Neuigkeit vermelden, dass uns der liebe Gott ein gesundes Söhnchen geschenkt hat, und das am 7. September vormittags gegen acht Uhr. Große Beschwerlichkeiten hat Anna dabei nicht gehabt,...“
Zeitweilig kehren Glück, Harmonie und Erfolg in das Pfarrhaus Kossick ein. Eines der kraftvollsten Gedichte dieser Zeit spricht von elterlichen Freuden:
Erste Schrittchen
Predne kšoceńki, 1892
Juch! unser kleiner Mann
fing heut zu laufen an,
hurra, viktoria!
der erste Schritt ist da!
Beinchen noch ungeschickt,
manchmal auch umgeknickt,
gleichwie geht's gut voran
mit unsrem kleinen Mann.
Fällt aufs Knie, auf den Sterz,
doch bald vergeht der Schmerz;
Musst lernen spät und früh,
nichts lernt man ohne Müh.
Hosen, Schuh gehn entzwei
und noch so mancherlei,
eh du ein Jüngling bist,
Eignes geschaffen ist.
Gott führ die Wege dein,
schütz dich vor Leid und Pein;
Unglück und tiefer Fall
lauern dein überall!
Bist du erst unten dann,
fällt dich Verdammnis an,
Sünde verheilet nie
so wie ein wundes Knie.
Eine sichere bürgerliche Existenz bauen sich Kosyks als Farmer auf. Zeitweilig besitzt er mehrere Farmen; seine Frau Anna spezialisiert sich auf Schweinezucht. Aber der Sohn verunglückt 1915 tödlich. Es gibt keinen Nachfolger mehr für die große Farm in Albion, Oklahoma, wohin die Familie nach der Pensionierung Kosyks gezogen war. Das Leben verarmt, 1928 stirbt die Ehefrau. Eine Heimkehr nach Deutschland ist wegen steuer- und besitztumsrechtlicher Barrieren, in Zeiten von Weltwirtschaftskrise und Inflation und der sich politisch abzeichnenden nationalsozialistischen Ordnung nicht möglich.
In seinem Häuschen am Walnut Creek wartet der greise Kosyk auf seinen „Weg in den Himmel". Dichterisch war er in seiner wendischen Sprache während dreier Phasen aktiv: 1883 bis 1886, dann 1892 bis 1898 im Rahmen der jungsorbischen Bewegung und auf Bitten aus der Heimat sowie erneut auf Anregung aus der Lausitz (Bogumil Šwjela und Mina Witkojc) von 1923 bis 1937.
Das, was bleibt
Dem Werbener Dichter Mato Kosyk, bürgerlich Matthäus Kossick, amerikanisch Matthew Kossick, der bedeutendsten literarischen Gestalt der wendischen Niederlausitz im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, war es beschieden, den wichtigsten und entscheidenden Schritt zur Herausbildung der wendischen Literatur zu vollenden. Indem er in über sechsjähriger hauptberuflicher dichterischer Tätigkeit sein Talent voll entfaltete, gelingt es ihm, die Literatur der Wenden/Niedersorben zu einem Höhepunkt zu führen, den sie annähernd erst in der nächstfolgenden Epoche mit Mina Witkojc wieder erreicht.
In seinem zwischen 1877 und 1938 entstandenen, als einheitliches Ganzes zu betrachtenden Gesamtwerk zeigt sich ein großer Reichtum an dichterischen Formen und Gattungen, ist eine Vielzahl von Themen versammelt, mit denen Kosyk seinem Volke eine vollgültige Literatur schenkt. In dieser Fülle gibt es Konstanten: formal ist es die Bevorzugung gebundener Sprache, thematisch die Konzentration auf die Bereiche christlicher Glaube, Natur, Volk und Heimat.
Und da sind vor allem Gedichte, von der Ballade bis zum Liebeslied und in außerordentlicher Verbreitung Choralpoesie: wendisches Kirchenliedgut, das heute noch gesungen wird. Mit seinen Dichtungen als Pfarrer und Farmer in den USA bereichert er die wendische Literatur einmalig und unverwechselbar mit Themen aus der amerikanischen Welt. Mit geradezu unauslöschlicher Bildhaftigkeit stehen dem Amerikaner Kosyk zeitlebens Werben, seine Kirche, seine Menschen und das Elternhaus am Müschener Weg vor Augen. Hier hat das Ethos allen Kosyk'schen Lebens und Handelns seine Wurzeln. Es begleitet den dichterischen Reigen, den das Talent Kosyk 1877 eröffnet und den der Meister im Jahre 1938 schließt. Als Zeugnis aus seiner Werbener Werkstatt wählen wir ein Gedicht aus dem Jahre 1882:
Bleib allzeit fromm
Wostań pobožny!, 1822
Ich ließ mein Mütterlein zurück,
ging fort in fremde Lande;
sie sah mich an mit wehem Blick:
Sei ehrsam, würdig deinem Stande.
Das gab dem Herzen frischen Mut:
Bleib allzeit fromm und gut!
Der Mutter Wort klingt lebenslang
in mir auf allen Wegen.
Hör ich vom Turm der Glocken Klang
des Morgens und den Abendsegen,
gibt Mutters Stimme neuen Mut:
Bleib allzeit fromm und gut!
Ging in die weite Welt hinaus,
die ließ mich Freuden ahnen,
sah's Leben da in Saus und Braus,
doch hört ich heimlich mahnen:
Verbrenn dich nicht an dieser Glut,
bleib allzeit fromm und gut!
Einst kam ich heim in Mutters Land,
ihr heiß und lieb zu danken.
Als ich an ihrem Grabe stand,
versank ich in Gedanken.
Sie sprach zu mir und gab mir Mut:
Ach bleibe fromm und gut!
Als letztes Zeugnis ziehen wir ein Gedicht des späten Schaffens heran. In unerschütterlicher Konstanz lebt christliches Wesen in ihm. Unter dem Titel „Wege zum Himmel" ist der größte Teil der Kosyk'schen Gedichte des letzten Lebensjahrzehnts zusammengefasst. Es gilt als Resümee dieses Lebens in Gott und Heimat:
Heimat, Gott mit dir
Božemje domiznje, 1933 (Vers 2 und 3)
Ein stilles Plätzchen hätt ich gerne
zum letzten Schlaf mit euch vereint. –
Wird auch mein Grab in weiter Ferne,
die Seelen treffen sich dereinst.
Gib Gott, mit deiner Sonne Gnade
dem Lausitzlande Glück und Kraft,
dass Volkes Rest am Spreegestade
noch nicht versinkt in tiefster Nacht.
Der wendische Bauernsohn aus Werben ist der Ehrung seiner Heimat durchaus würdig. - Wenn die Amsel singt, erschallt der Hochwald. Sie singt von der Heimat, von Gott und der Natur, von fremder Erde und den Indianern. Es ist die Stimme einer gottesfürchtigen, die Muttersprache unendlich liebenden, manchmal traurigen wendischen Seele für die Ewigkeit.
(Die hier veröffentlichten Gedichte sind dem Bändchen „Basni - Gedichte - Poems" entnommen, das die Autoren zum 150. Geburtstag des Dichters erarbeitet und in Druck gegeben haben. Die Übertragungen sind urheberrechtlich geschützt.
Die Übertragung von Auszügen aus dem Werk „Serbska swaźba w Błotach" besorgte der Altmeister Albert Wawrick; sie sind abgedruckt in einem Studienmaterial für die Lehrerbildung, erschienen 1985.
Der Auszug aus „Branibora pad" ist dem Beitrag der Autoren im Cottbuser Heimatkalender 2003 entnommen. Die Übertragungen sind urheberrechtlich geschützt.
Die Briefauszüge sind frei übersetzt.)